Endlich: Nach zwei langen Jahren gesegneter Corona-Stille bricht mit Tomorrowland das ultimative Hochamt der Tanzmusik los. Dieses Mal wird das Heiligtum in Boom an drei Wochenenden 600.000 Besucher aus 200 Ländern (!) begrüßen.
Und das ist angesichts der vergangenen Verlustjahre sicher kein überflüssiger Luxus. Ein Blick in die Bilanz des beliebtesten Festivals der Welt. „Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann davon, dass wir Tomorrowland für den Rest unseres Lebens selbst organisieren werden.
DJ Tiësto, der in letzter Minute Leuvens Marktrock dem Tomorrowland vorzieht? Heute scheint das undenkbar, doch im Sommer 2005 ist es tatsächlich passiert. Es sorgte dafür, dass die allererste Ausgabe des Tanzfestivals mit einem schweren Kater zurückblieb. Der in Antwerpen lebende Manu Beers (42) – zusammen mit Bruder Michiel (46) Organisator des Tanzfestivals – hat uns das vor einigen Jahren in einem seiner äußerst seltenen Interviews selbst erzählt. „Für die erste Ausgabe im Jahr 2005 hatten wir auf mindestens 15.000 Besucher gehofft. Monate im Voraus hatten Michiel, ich und unser kleines Team fast alle Pommesbuden und Pita-Läden in Flandern mit Plakaten bedeckt. Am Ende kommen nur 9.000 Leute.“ 8.700, um genauer zu sein. Infolgedessen sahen die Beers-Brüder, die zuvor Antwerpener Studentenpartys wie „Antwerp is Burning“ organisiert hatten, nach dieser ersten Ausgabe plötzlich einen Verlust von 127.900 Euro vor. „Wir haben auch 2006 und 2007 Verluste gemacht. Vielleicht mussten sich viele Liebhaber elektronischer Musik erst noch an den Gedanken gewöhnen, nicht nachts, sondern tagsüber zu feiern.“
wunderbarer Samstag
Doch Manu und Michiel glaubten hartnäckig an ihr Festspielmärchen. Der erste Wendepunkt kam 2009, als Headliner Moby es schaffte, nicht weniger als 90.000 hauptsächlich belgische Besucher zur Boom zu locken und schließlich mit mehr als 377.000 Euro Gewinn grüne Zahlen zu schreiben. Doch der internationale Durchbruch kam erst 2012. Obwohl das Tomorrowland bereits im Sommer 2011 – damals wurde das Festival erstmals von zwei auf drei Tage ausgeweitet – beim internationalen Vorverkauf am Samstag, 7 etwas Wundervolles. In nur einer Sekunde – Sie haben richtig gelesen: 1 Sekunde – flogen die 100.000 noch verfügbaren Tickets aus der Tür.
Am Samstag, den 7. April, waren weltweit 2 Millionen Menschen bereit für eines der 100.000 Tickets, den endgültigen internationalen Durchbruch von Tomorrowland.
Selbst Ed Sheeran, Coldplay oder – wenn man so will – ein voller Rock-Werchter waren noch nie so schnell ausverkauft wie damals Tomorrowland. Und was alles noch beeindruckender machte: 2 Millionen Menschen auf diesem Planeten saßen einfach so an ihren Computern, nur um eines dieser „goldenen“ Tickets ergattern zu können. „Glücklich, verrückt und eigentlich unfassbar“, sagte Manu Beers damals. „Mundpropaganda ist der Hauptschuldige. Wer ein neues italienisches Restaurant entdeckt und dort super gegessen hat, möchte so schnell wie möglich 10 Freunden davon erzählen und so lief es mit Tomorrowland. Jeder der 60.000 Tagesbesucher im letzten Jahr (bezogen auf 2011, Anm. d. Red.) war so begeistert, dass er oder sie gleich 10 Freunde für dieses Jahr begeistert hat. Und jeder dieser 10 begeisterte weitere 10 andere über Facebook. Auf diese Weise kommt es zu einer Kettenreaktion, bei der schließlich 2 Millionen Menschen ein Ticket wollen.“ An diesem einen Samstagmorgen im April wurde Tomorrowland endgültig zum beliebtesten Festival der Welt. Denn die 1,9 Millionen Tanzfans, die damals ein Ticket verpasst haben, haben sich geschworen, im Folgejahr dabei zu sein, notfalls auch im Folgejahr und so weiter.
Corona-Geist
Seitdem ist Tomorrowland jeden Sommer mühelos ausverkauft, jedes Mal gut für einen Millionenumsatz. Als 2014 – und das zur zehnten Auflage – dieses tänzerische Hochkonjunktur-Massenreich erstmals auf zwei Wochenenden verteilt wurde, brachten die sechs Festivaltage zusammen 360.000 Besucher, mehr als 71 Millionen Euro Umsatz und 3,1 Millionen Euro Gewinn ein. . Das machte deutlich Lust auf mehr: Ab 2017 wurde das Doppelwochenende zum Standard. Wobei, auch durch die Erweiterung der Standortkapazität, jeden Sommer 400.000 Besucher und gut 100 Millionen Euro Umsatz zu begrüßen wären. Auf jede Ausgabe entfallen rund 4 bis 5 Millionen Euro Gewinn. Bereits 2018 folgte laut der Website ‚The Richest Belgians‘ ein Mahnschlag der Steuerbehörden: „Eine gründliche Prüfung führte zu einer einmaligen Strafe von 8 Millionen Euro. Dadurch endete das Geschäftsjahr 2018 mit einem Verlust von 5 Millionen Euro.“ Und als das Corona-Gespenst auftauchte und alle Musikfestivals abgesagt werden mussten, schien das Tomorrowland-Märchen eine Zeit lang in Gefahr zu sein. Plötzlich konnte man im Juli 2020 tatsächlich das Zwitschern der Vögel in Boom und Umgebung hören, und das sollte im darauffolgenden 2021 nicht anders sein.
Tomorrowland hat eine Vereinbarung mit der Provinz Antwerpen bis 2033, De Schorre in Boom zu nutzen
Dadurch schrumpfte der Umsatz von Tomorrowland trotz virtueller Ausgabe zusehends. Nach 112,8 Millionen Euro Jahresumsatz 2019 brach er im Geschäftsjahr 2020 auf 22,2 Millionen Euro ein. Gut für einen Verlust von mehr als 5,7 Millionen Euro. Und 2021 wurden die Zahlen noch schlimmer: Dann sei der Umsatz angeblich um nicht weniger als 95 % eingebrochen und der Verlust belaufe sich auf etwa 20 Millionen Euro. Zusammen ergaben die beiden Corona-Sommer bei Tomorrowland einen Schaden von rund 25 Millionen Euro. Aber siehe da: Durch das Brechen des absoluten Rekords von 600.000 Festivalbesuchern mit drei Festivalwochenenden in diesem Monat wird das Festival zweifellos auch beim Umsatz kräftig aufholen, möglicherweise bis zu 140 Millionen Euro. Tomorrowland gibt es auch längerfristig: Bis mindestens 2033 gestattet die Provinz Antwerpen der Provinz Antwerpen, De Schorre in Boom an zwei Wochenenden im Jahr zu nutzen.
„Niemals verkaufen“
Inzwischen ist auch die Geschichte der Gebrüder Beers selbst endgültig in das Märchenbuch aufgenommen worden. Mit einem Kapital von 5.400.000 Euro stehen sie derzeit auf Platz 659 der Liste der „reichsten Belgier“. Obwohl das eine grobe Unterschätzung erscheint, wenn man bedenkt, dass die Brüder zu 100% Eigentümer ihres Tanzfestivals sind und das jetzt deutlich mehr wert ist. Bereits Ende 2012 hatten Manu und Michiel ein amerikanisches Übernahmeangebot in Höhe von 100 Millionen Dollar (oder ebenso viel Euro, Anm. d. Red.) abgelehnt. Während der Wert des Festivals in der Zwischenzeit nur gestiegen ist. Aber, wie uns Manu Beers einmal anvertraute: „Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann davon, dass wir Tomorrowland für den Rest unseres Lebens selbst weiter organisieren werden. Wir lieben unser Baby zu sehr, um es an Dritte zu verkaufen.“
Quelle: HLN 15/07 via License2publish